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Die Betroffenheit war ihr anzusehen, als Simonetta Sommaruga am 11. April 2013 ans Mikrofon trat: «Für das Leid, das Ihnen angetan wurde, möchte ich mich im Namen der ganzen Landesregierung aufrichtig und von ganzem Herzen entschuldigen.» Diese Worte galten den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Jenen Menschen, die als Kind verdingt, zwangssterilisiert, grundlos eingesperrt oder zwangsmediziert wurden. Für die Betroffenen waren die Worte der Bundesrätin eine Genugtuung. Ein Zeichen, dass die Schweiz offiziell anerkennt, was man ihnen angetan hat.
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Alfred Muggli und Alfred Stahel nehmen den verstorbenen Wissenschaftler in Schutz und fordern seine Rehabilitation. «Kuhn hat Substanzen getestet, die nicht gefährlich waren», sagt Muggli gegenüber der «Thurgauer Zeitung». Der ehemalige Hausarzt von Steckborn bezweifelt, dass die Medikamente noch Jahrzehnte später Folgen haben.
Sein Kollege Stahel geht noch weiter und möchte Kuhn nachträglich den Nobelpreis für seine Forschung verleihen. Die Medikamente, die aufgrund von Kuhns Forschung auf den Markt gekommen seien, seien ein Segen. Man müsse die Testreihen aus damaliger Sicht beurteilen.
Als Walter Emmisberger, als einer der seit Jahrzehnten an den Folgen der Zwangsmedikation leidet, diese Zeilen liest, ist er «geschockt». «Ich dachte, ich werde ohnmächtig», sagt er am Telefon. Der Fehraltorfer fühlt sich zurückversetzt in die Zeit seiner Kindheit. Damals, als er unterdrückt, vernachlässigt und missbraucht wurde. Damals, als sein Selbstvertrauen ausgelöscht wurde. Die Medizintests an Emmisberger sind in seinen Akten festgehalten. Auch die Dorfärzte waren wohl informiert. Der gesundheitliche Zustand des damaligen Buben liess keine Zweifel daran. Doch hinterfragt oder hingeschaut habe damals niemand, sagt Emmisberger. Und nun, Jahrzehnte später würden zwei Ärzte versuchen, ihre Gilde zu schützen.
Beim Bundesamt für Justiz in Bern reagiert man «schockiert» über die Worte der beiden Mediziner. «Die Äusserungen sind sehr ungeschickt und zeugen von wenig Empathie», sagt Luzius Mader, stellvertretender Direktor des Bundesamts für Justiz, gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet. Der Bedarf der Untersuchungen über die Vergangenheit der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen, die der Kanton Thurgau vor kurzem eingeleitet hat, sei unbestritten.
Muggli und Stahel sind nicht die ersten, die mit fragwürdigen Aussagen über die Forschung von Kuhn für Kopfschütteln sorgen. Der Thurgauer Regierungsrat Kaspar Schläpfer sagte Ende Januar, man müsse auch den wissenschaftlichen Wert von Kuhns Forschung anerkennen. Wenig später entschuldigte sich Schläpfer für diesen Satz und bedauerte öffentlich, viele Menschen verletzt zu haben.