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Neun Jahre lang arbeiten Ärzte inzwischen in der neuen DRG-Welt, verschlüsseln eifrig jeden behandelten Fall für die Rechnung in Haupt- und Nebendiagnosen. Sind die Hoffnungen der Politiker in Erfüllung gegangen, oder gleicht der Weg ins Krankenhaus heute einem gefährlichen Abenteuer? Wer den Klinikärzten im Land zuhört, sieht die schlimmsten Prophezeiungen erfüllt.

Dass die Umstellung des Abrechnungssystems die Gefahr unerwarteter und unerwünschter Effekte birgt, war dem Gesetzgeber bewusst. Deshalb erhielt das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) den Auftrag, die Versorgung der Patienten im Blick zu behalten. In den ersten vier Jahren nach Einführung des DRG-Systems veröffentlichte das IGES zwei Berichte. Doch überraschenderweise erzählen die Statistiken darin eine andere Geschichte als die düsteren Anekdoten der Ärzte. Nach den ersten beiden IGES-Studien soll sich die Situation für Patienten seit Einführung des DRG-Systems sogar verbessert haben: Patienten werden im Mittel rund einen Tag früher entlassen, und die Zahl der Krankenhausbetten ist in Deutschland um weitere 20 Prozent gesunken. Die schnellere Medizin, befürchteten die Kritiker, würde zu »blutigen Entlassungen« führen. Noch wackelig auf den Beinen, würden Patienten schon vor die Tür gesetzt und müssten nur kurze Zeit später mit Komplikationen wieder aufgenommen werden.

Doch diese Nebenwirkung der DRG blieb anscheinend aus. Die Patienten verließen das Krankenhaus offenbar gesünder denn je. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Jahres nach dem stationären Aufenthalt zu sterben, sank zwischen 2004 und 2008 um vier Prozent. Wie lässt sich die Diskrepanz zu den Berichten der Ärzte erklären?

Der letzte Untersuchungszeitraum des IGES liegt vier Jahre zurück, eine weitere Erhebung der Ärztekammer Niedersachsen ist mehr als zwei Jahre alt. In der Zwischenzeit kann viel passiert sein. In den ersten Jahren nach Einführung der DRG hatten die Krankenhäuser noch Reserven, die jetzt möglicherweise erschöpft sind.

Vieles spricht dafür, dass die Horrorgeschichten der Ärzte Vorboten einer Verschlechterung der Versorgung sind, die sich statistisch noch nicht bemerkbar gemacht hat. Die Statistik hinkt der Wirklichkeit deutlich hinterher, besonders dann, wenn zu grob und das Falsche gemessen wird. Was in den IGES-Studien und den internationalen Vergleichen zählt, sind vor allem Todesfälle nach der Behandlung, es zählt nicht, wie es den Menschen nach der Entlassung geht.

Die Renditestrategie beginnt mit der Aufnahmediagnose. Sie ist zentral für die spätere Abrechnung. Weil schwere Erkrankungen mehr Geld bringen, besteht die Tendenz, auch die etwas einträglichere Diagnose zu stellen. Plötzlich erscheinen die Menschen überall kränker. Je leichter ein frühgeborenes Kind ist, desto intensiver muss zum Beispiel die Betreuung sein. Nach Einführung der DRG beobachten Neonatologen in Düsseldorf, dass frühgeborene Kinder in Nordrhein-Westfalen sprunghaft leichter geworden sind. Der Grund: Bereits winzige Unterschiede im dokumentierten Geburtsgewicht führen zu einer anderen Fallpauschale – und das kann dem Krankenhaus bis zu 20.000 Euro mehr bringen. Schreit und wippt das Frühchen auf der Waage, liest die Hebamme das Gewicht eben zum günstigsten Zeitpunkt ab. Wenn aber Patienten auf dem Papier kränker aussehen, als sie es in Wirklichkeit sind, dann verwundert es auch nicht, wenn der Behandlungserfolg groß erscheint und die Statistik blendend aussieht.

Quelle

Ein deutsches Sprichwort sagt: "Unter den Blinden ist der Einäugige König!" Aber dieses Sprichwort stimmt nicht: "Unter den Blinden kommt der Einäugige ins Irrenhaus!"

Heinz von Foerster
19.05.12, 14:48:14
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